"Wien 1927–1934" war ein gemeinsames public history Projekt von present:history und kritTFM. Im Rahmen von zwei Veranstaltungsreihen 2018/2019 beleuchteten wir die politischen Auseinandersetzungen der Wiener Zwischenkriegszeit und richteten unseren Blick auf widerständige Praktiken in Politik und Kultur. Uns ging es dabei allerdings nicht nur um die Vergangenheit, sondern um dessen Interpretation in der Gegenwart. Im Kontext der aktuellen Entwicklungen diskutierten wir: Kann uns Wissen über die Geschichte dabei helfen, Gegenstrategien für heute zu entwicklen?

Im Jahr 2019 (2018 siehe hier) fokussierten wir auf Bildung und Kultur: In den frühen 1920ern etablierte sich das „Rote Wien“ als Gegenpol zum Konservativismus der bürgerlichen Bundesregierungen. Auf dem Weg zu einer anderen Gesellschaft nahmen Bildung und Kultur eine zentrale Rolle ein. Im Umfeld der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien entstanden neue Konzepte und Praktiken in den Bereichen Bildung, Literatur, Theater oder Kino. Welche theoretischen Auseinandersetzungen gab es in der Wiener Linken in den Bereichen Bildung und Kultur? Wie wurde versucht, diese Utopien praktisch umzusetzen? Wie wurde dabei auf den aufkommenden Faschismus reagiert?

Mehr zum historischen Hintergrund

 

Programmnachlese 2019
 
Di, 2. Juli: Das Rote Wien 1919-1934
 
Mi, 10. Juli: Kino als politischer Raum: Zwischen Propaganda, Information und Unterhaltung
 
Sa 20. Juli: Demokratisierung durch Bildung. Otto Glöckel und die Schulreform
 
Fr, 2. August: Einblicke in das Feuilleton der Arbeiterzeitung

 


Di, 2. Juli 15h: Das Rote Wien 1919-1934

Museumbesuch MUSA mit Marie-Noelle Yazdanpanah

Die Ausstellung, die seit April diesen Jahres im MUSA zu sehen ist, wirft einen Blick auf das „Rote Wien“, das umfassende gesellschaftliche Transformationsprojekt im sozialdemokratisch regierten Wien der Zwischenkriegszeit. Bei einem Rundgang durch die Ausstellung haben wir uns insbesondere mit den Aspekten Bildung und Frauen beschäftigt, im Anschluss gab es noch die Möglichkeit zur gemeinsamen Diskussion!

 


Mi, 10. Juli 19h: Kino als politischer Raum: Zwischen Propaganda, Information und Unterhaltung

Screening im Schikaneder mit Sarah Kanawin und Andreas Filipovic

Das Kino im Wien der Zwischenkriegszeit erfreute sich hoher Popularität und wurde dabei auch von politischen Bewegungen und Parteien für Unterhaltungs-, Bildungs- und Propagandazwecke genutzt. Neben dem Werben für politische Ideen in eigenen Filmproduktionen, sollte der Interpretationsspielraum bestehender Bilder nicht der politischen Konkurrenz überlassen, sondern selbst ausgefüllt werden. Anhand von Filmbeiträgen aus den 1920ern und 1930ern, vor allem von sozialdemokratischer und kommunistischer Partei, haben Sarah Kanawin und Andreas Filipovic verschiedene Herangehensweisen aufgezeigt und diese im politischen und historischen Kontext verortet. Wir sahen Kurzfilme über den Juli 1927, in den verschiedenen Produktionen wurden die gleichen Bilder teils völlig unterschiedlich interpretiert. Aufklärungs- und Propagandafilme des Roten Wien hoben die Leistungen der Stadt, beispielsweise in der Fürsorge hervor. Es gab aber auch kritische Filme, wie beispielsweise „Frauenleben Frauenlos“ in dem die Realität der Frauenerwerbsarbeit und die Mehrfachbelastung für arbeitende Frauen thematisiert wurden.

 

 


Sa 20. Juli 9-20h: Demokratisierung durch Bildung. Otto Glöckel und die Schulreform

Tagesausflug ins Burgenland mit Elisabeth Luif und Georg Luif (gemeinsame Fahrt von/nach Wien)

Bei einem gemeinsamen Tagesausflug haben wir uns mit dem zentralen sozialdemokratischen Schulreformer des Roten Wien, Otto Glöckel auseinander gesetzt. Er ist vor allem bekannt für seine Forderung nach der Gesamtschule und dem Kampf gegen den klerikalen Einfluss auf die Bildung. Nach einführenden Inputs zum Leben und Wirken Otto Glöckels im Kontext der Ersten Republik am Vormittag, haben wir den Nachmittag im „70er Haus der Geschichten“ in Mattersburg verbracht. Anhand der dortigen aktuellen Ausstellung diskutierten wir gemeinsam über Glöckels theoretische Konzepte und deren Umsetzung in der Wiener Schulreform, die Rolle von Bildung für emanzipatorische Politik und die Aktualität seiner Forderungen. Zum Abschluß gab es eine gemeinsame Grillerei!

 


Fr, 2. August, 19h: Einblicke in das Feuilleton der Arbeiterzeitung

Lesung am Campus/AAKH Hof 2 mit Astrid Hauer und Simon Sailer

Kunst und Literatur spielten in der Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit eine wichtige Rolle. In der täglich erscheinenden Arbeiterzeitung wurden in jeder Ausgabe kurze Geschichten deutschsprachiger und internationaler Autor*innen und sogar ganze Romane abgedruckt. Einige davon, etwa Gina Kaus’ Gesellschaftsroman „Front des Lebens“, werden in letzter Zeit wiederentdeckt und neu aufgelegt. Aber auch die kürzeren Texte sind teils von hoher literarischer Qualität, teils skurril, aber unterhaltsam, und gewähren jedenfalls Einblicke in das gesellschaftliche Klima der Zeit. Astrid Hauer und Simon Sailer haben eine Auswahl getroffen und einen anregenden wie unterhaltsamen Leseabend gestaltet.

 


Historischer Hintergrund

Im Juli 1927 verübt die Wiener Polizei im Rahmen einer linken Demonstration ein Massaker, bei dem knapp 90 Menschen sterben. Sieben Jahre später, im Februar 1934, wird die österreichische Arbeiter:innenbewegung in einem dreitägigen Bürger:innenkrieg endgültig zerschlagen und illegalisiert. Diese beiden Ereignisse waren einschneidende Momente in Richtung eines autoritären Umbaus der Gesellschaft, sie stehen aber im Kontext größerer politischer Auseinandersetzungen zwischen Demokratie und Faschismus in Österreich und weiteren europäischen Ländern.

In der offiziellen Geschichtserzählung scheinen die zwei Jahrzehnte nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918 bis zum „Anschluss“ an das Deutsche Reich 1938 als eine Entwicklung, die unausweichlich in die Katastrophe führen musste: Die schlechte wirtschaftliche Lage und der fehlende Glaube an die österreichische Nation führten zu einer Radikalisierung beider politischer Lager, eine konstruktive Zusammenarbeit war – anders als in der Zweiten Republik – nicht mehr möglich.

Diese Darstellung blendet allerdings aus, dass sich das bürgerliche Lager bereits ab den späten 1920ern zunehmend zum Faschismus wandte und die staatliche Repression – primär gegen Linke – kontinuierlich verschärft wurde. Ausgeblendet bleiben auch vielfältige emanzipatorische Gegenentwürfe, Praktiken des politischen Widerstands und Gegenstimmen in Kunst und Kultur.

Im Rahmen von Veranstaltungsreihen im Sommer 2018 und 2019 haben wir uns mit den politischen Auseinandersetzungen im Wien der Zwischenkriegszeit beschäftigt und dabei insbesondere den Blick auf widerständige Praktiken in Politik und Kultur richten: Welche Perspektiven für eine emanzipatorische Gesellschaft gab es? Wie wurde Widerstand gegen staatliche Repression und die Rechten „auf der Straße“ artikuliert? Welche Zugangsweisen und Konflikte gab es innerhalb der Arbeiter*innenbewegung? Welche künstlerischen Gegenstrategien wurden entwickelt?

Geschichte ist keine Sache der Vergangenheit, dessen Interpretation und Bewertung verhandelt vielmehr das Selbstverständnis unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Dabei erscheint der historische Faschismus gerade sehr aktuell zu sein: Regierungsmitglieder lassen mit mehrdeutigen Aussagen aufhorchen, auch kritische Stimmen verweisen auf Parallelen in der Geschichte. Dabei sind wir auch real mit einer autoritären und rassistischen Austeritätspolitik konfrontiert. Wie können die aktuellen Entwicklungen vor dem Hintergrund der Zwischenkriegszeit verstanden und eingeordnet werden? Wie legitim sind Vergleiche mit geschichtlichen Ereignissen? Welche Rolle spielt der „Kampf um die Geschichte“ für die gegenwärtige Politik? Kann uns das Wissen über die Geschichte dabei helfen, Gegenstrategien für heute zu entwickeln?

 


Ein Projekt in Zusammenarbeit mit